Heute, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, möchte ich erzählen von einer anregenden Begebenheit, die sich vor einigen Jahren nun schon zugetragen hat.
Jeden Tag auf`s Neue ereilt mich die Erkenntnis, wie viele eindrückliche und bizarre Momente ich in meinem Leben schon erleben durfte. Sie liegen mitunter lange zurück. Doch dies ändert nicht die Tatsache, dass sie mich in gleicher Weise wie im Moment des Erlebens erquicken. Sie künden im übrigen geheimnisvoll von der Relativität und Vernachlässigbarkeit der Zeit.
Es war im Jahre Zweitausendundneun.
Meine heute große Tochter war damals noch sehr klein und ich unerfahren im Mandat „Mutter“. Ich scheue es von jeher nicht, meine Erfahrungen zu absolvieren und widerstand auch in dieser Funktion widerständlerisch jeglichen Versuchen des Oktroys seitens angemaßter Autoritäten.
Um nicht Schiffbruch zu erleiden vor lauter Aufstand und Wehendelirium zur gleichen Zeit, sah ich beispielsweise umsichtig von vornherein davon ab, ein Krankenhaus als Geburtsort für mich und mein Kind zu wählen, sondern hielt mich gleich ganz fern von allen Gipfeltreffen an Kompetenzen.
Nun begab es sich, dass mein Kind mit einer gewissen Hauterscheinung undramatischer Art das Erdenlicht erblickte. Unsere ihrerseits rebellische Kinderärztin machte wenig Bohei, doch verwies uns, gewiss durch einen Haftungsausschluss motiviert, an einen „vernünftigen“ Hautarzt zur endgültigen Abklärung. Ich besuchte diesen und konnte festhalten: er war durchaus ein Arzt erster Güte, freundlich, wenn auch mehr auf die Sache, denn das Kind konzentriert und bedankte mich deshalb für den ausgewogenen Rat bei meiner Kinderärztin.
Es kam dann so, dass im Laufe der Zeit eben dieses Kind eine weitere Hauterscheinung produzierte. Unsere Kinderärztin verwies wiederum an obig erwähnten Hautarzt.
Ich möchte vorweg nehmen, dass Orientierung in Raum und Stadt nicht mein größtes Talent darstellen und so war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich beim besagten Arzt angekommen war. Als ich diesen dann in Persona und leibhaftig vor mir stehen sah, wurde mir gewisser, dass das nicht der Arzt des letzten Besuchs war und überlegte kurz, ob ihn bitten könnte, den alten zu holen, mit dem hatten wir ja nur gute Erfahrungen gemacht.
Seine joviale und meine höfliche Art verboten mir dieses Vorgehen und so betrat ich samt Kind seinen Praxisraum.
Mein Ansinnen war es, seine Kompetenz in Form der Diagnosestellung in Anspruch zu nehmen. Auf alles weiteren Vorgänge und Maßnahmen seinerseits wollte ich verzichten. So bat ich ihn nach seiner Aufforderung, die er galant in weißem Umhang tätigte, um seine Diagnose der Hauterscheinungen meiner Tochter an deren Zehenglieder. Er diagnostizierte in hoher Geschwindigkeit, ich dankte, er brachte eine Creme. Weil ich ein höflicher, umsichtiger Mensch bin, dankte ich freundlich mit Hinweis auf sein ja begrenzte Budget und erklärte, die Sache selbst in die Hand nehmen zu wollen. Die Diagnose sei mir Hilfestellung genug, ich sei ihm zu großem Dank verpflichtet.
Er blickte verstört. Sagte einen Moment nichts. Das mutete interessant an, weil er sich bisher so beherzt benommen hatte. Ein Mann des Wortes und der Tat, so war sein Auftreten.
Bevor er seine Sprache wiedergefunden hatte, bat ich ihn um eine weitere Diagnose. Da ich nun ja schon einmal da war, sprach alles dafür, alle Hauterscheinungen ungewisser Genese auf einmal abzuhandeln.
Der Mann hatte sich noch nicht ganz wieder gefangen, aber ruckte mit einem eindrücklichen Hopser auf seinem Stuhl nach vorne, um mit routiniertem Blick die Warzen als solche auf meinem Daumen zu identifizieren.
Wohl aus Reflex schleuderte er umgehend das entsprechende Antimittel auf den Tisch zwischen uns.
(Wie es weiter geht, erfahrt Ihr in der ersten Lesung…)
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© 2017 Lisa Marie Binder-Raupenstrauch
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